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MTM-Methode: Mit dieser Analyse wird Ergonomie messbar

Die MTM-Methode: Definition und Anwendungsmöglichkeiten

Dr. Steffen Rast, Fachbereichsleiter Deutsche MTM-Gesellschaft Industrie- und Wirtschaftsberatung mbH

Im Interview gibt ein Experte faszinierende Einblicke in die Möglichkeiten, die sich durch die MTM-Methode eröffnen. 

Angesichts des steigenden Wettbewerb-, Kosten- und Zeitdrucks sowie des demografischen Wandels müssen in der manuellen Produktion Stellschrauben für Optimierungen gefunden werden. Doch wo setzt man hier am besten an? Und wäre es nicht noch besser, Prozesse und Arbeitsplatzgestaltung bereits im Vorfeld, also während der Planung, analysieren und bewerten zu können? In diesem Zusammenhang fällt häufig der Begriff „MTM“. Doch was hat es mit der MTM-Methode auf sich und wie wendet man sie konkret an? Dr. Steffen Rast kann hier aus dem Vollen schöpfen. Er ist seit 1999 für die Deutsche MTM-Gesellschaft Industrie- und Wirtschaftsberatung mbH tätig, einer Tochtergesellschaft der MTM ASSOCIATION e. V., und fungiert dort seit 2016 als Fachbereichsleiter Ergonomie. Im Interview erklärt er anschaulich, was die MTM-Methode ausmacht und wie sich Prozesse und Ergonomie objektiv beschreiben, bewerten und vorausschauend planen lassen.

So effektiv ist die MTM-Methode in der Praxis

Ergonomie mess- und planbar gemacht sowie umfassend eingeführt: Erfahren Sie im Anwenderbericht, wie SIKO mit item und der Deutschen MTM-Gesellschaft seine manuelle Produktion optimiert hat.
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MTM-Methode einfach erklärt

Was ist die MTM-Methode? Wie kann man sie sich vorstellen?

„MTM steht für ‚Methods-Time Measurement’. Damit lassen sich alle manuellen Tätigkeiten beschreiben, analysieren, bewerten und auch planen. Die MTM-Methode ist vor allem in der Industrie gefragt, sie lässt sich aber auch im administrativen Bereich oder kleinen Handwerksbetrieben anwenden. Eine solche Universalität ergibt sich, da bei der MTM-Methode alle manuellen Bewegungen auf Grundbewegungen heruntergebrochen werden.

Für all diese Grundbewegungen gibt es Prozessbausteine mit standardisierten, objektiven Werten, die in der Einheit „Time Measurement Unit“ (TMU) angegeben werden. Eine Sekunde sind circa 27,8 TMU, 1667 TMU entsprechen einer Minute. Entsprechend kann man mit dem MTM-Verfahren für jede manuelle Tätigkeit eine Soll-Zeit ermitteln, indem die TMU-Werte der einzelnen Prozessbausteine addiert werden. Man kann die MTM-Methode sowohl mit Papier und Stift umsetzen als auch mit Software-Unterstützung – etwa mit unserer Software MTM-Easy. Auch die Verknüpfung mit Motion Capture und Virtual Reality ist möglich.

Wenn es etwa um die Optimierung eines bestehenden Arbeitsplatzes in der manuellen Montage geht, lässt sich für diesen auf Basis der Soll-Zeiten eine Bewertung vornehmen. Anhand dieses Vergleichs zeigen sich dann Optimierungspotenziale. Noch besser ist es allerdings, die MTM-Methode bereits im Vorfeld anzuwenden, also bereits während der Planung von Montagearbeitsplätzen, was eindeutig Kosten einspart. Grundsätzlich sollte die MTM-Methode so früh wie möglich zum Einsatz kommen.“

Woher kommt die MTM-Methode? Wer hat sie entwickelt?

„Entscheidende Impulse für die MTM-Methode gingen vom amerikanischen Bauunternehmer Frank Bunker Gilbreth aus. Er entdeckte Anfang des 20. Jahrhunderts, dass sich alle Bewegungen des Menschen auf 17 Grundbewegungen zurückführen lassen. Diese nannte er „Therbligs“, das ist übrigens das Anagramm seines Nachnamens. Für diese Grundbewegungen hat er spezielle Icons entwickelt. Gilbreths Ideen wurden unter anderem von Asa Bertrand Segur weiterentwickelt, bis schließlich 1948 das Buch „Methods-Time Measurement“ von Harold Bright Maynard, John Lenhard Schwab und Gustave James Stegemerten erschien. Dies war der eigentliche Startschuss für die MTM-Methode.

Seitdem gibt es das Verfahren MTM-1. Es war die entscheidende Erkenntnis von Maynard, Schwab und Stegemerten, dass 80 % aller manuellen Tätigkeiten folgende Bewegungen enthalten: Hinlangen, Greifen, Bringen, Fügen und Loslassen. Um Grundbewegungen und entsprechende Standardzeiten zu ermitteln, hat man jede einzelne Bewegung tausendfach ausführen lassen und gefilmt – von Männern, Frauen, Menschen mit kurzen und langen Armen und so weiter.

Mit der MTM-Methode kann ich etwa Folgendes bestimmen: Wie lautet die Standardzeit für ein Hinlangen zu einem Bauteil, das einzeln auf dem Tisch liegt? Oder bei einem Bauteil, das zusammen mit anderen dort liegt?

Auf dieser Grundlage kann man beispielsweise Folgendes bestimmen: Wie lautet die Standardzeit für ein Hinlangen zu einem Bauteil, das einzeln auf dem Tisch liegt? Oder bei einem Bauteil, das zusammen mit anderen dort liegt? Mit der MTM-Methode ist das alles möglich. Nachdem es bereits 1951 die „U.S. MTM Association for Standards and Research” gab, kam die MTM-Methode schließlich auch nach Europa und 1962 nach Deutschland. Damals gründeten Unternehmen aus verschiedenen Branchen die Deutsche MTM-Vereinigung e. V., heute heißt der Industrieverband MTM ASSOCIATION e. V. Es ist unser Auftrag gemäß der Satzung, die MTM-Methode zu verbreiten. Das ist uns in den letzten Dekaden sehr gut gelungen. Gleichzeitig bietet die Tochtergesellschaft, die Deutsche MTM-Gesellschaft Industrie- und Wirtschaftsberatung mbH, vielfältige Dienstleistungen rund um das MTM-Verfahren an.“

MTM-Methode und Ergonomie-Bewertung mittels EAWS

Welche Rolle spielt die MTM-Methode bei der ergonomischen Bewertung? Ist diese damit auch möglich?

„Der ganzheitliche Blick auf menschliche Arbeit wird immer wichtiger. Deshalb ist es entscheidend, die Zeiten mit der MTM-Methode zu bestimmen und gleichzeitig die Ergonomie zu bewerten. Beides hängt eng zusammen und ergänzt sich. Ziel sollten immer Arbeitsplätze sein, die alterns- und altersgerecht gestaltet sind. Denn Arbeit muss produktiv und gesund sein. Und prospektive Ergonomie, die Berücksichtigung ergonomischer Prinzipien bereits während der Planung, ist immer besser und kostengünstiger als korrigierende Maßnahmen. Wer hier vorausschauend vorgeht, kann schon bei der Planung von ganzen Fabriken hohe Belastungen für die Mitarbeiter und mögliche Risiken vermeiden. Wir können auch hier schon im Vorfeld begutachten, bewerten, einstufen und gestalten.

Für die Ergonomie-Bewertung setzen wir auf das Ergonomic Assessment Work Sheet (EAWS). Bewertet werden die Belastungen für den Gesamtkörper und das Hand-Arm-System. Dabei handelt es sich um einen Weltstandard für die ergonomische Arbeitssystemgestaltung. Das EAWS ist arbeitswissenschaftlich validiert und international genormt, was ja gerade für Gewerkschaften und Betriebsräte wichtig ist.

Mit dem EAWS bewertet man die individuelle körperliche Belastung an einem Arbeitsplatz. Natürlich ist jeder Mensch individuell, es gibt jedoch Vergleichswerte und damit verlässliche Standardwerte, mit denen man arbeitet. Bei der Ergonomie-Bewertung mit dem EAWS vergibt man Punkte für die einzelnen Belastungen und addiert diese. Und diese Werte lassen sich in ein Ampelschema einordnen. Grüne Arbeitsplätze haben 0 bis 25 Punkte, gelbe Arbeitsplätze über 25 bis 50 Punkte, und bei über 50 Punkten hat man es mit einem roten Arbeitsplatz zu tun. Wir können auch transparent darstellen, wie viel es kostet, entsprechende ergonomische Optimierungen vorzunehmen.“

Sagen wir, man hat es mit einem gelben Arbeitsplatz zu tun. Wie geht man dann vor?

„Auch gelbe Arbeitsplätze können mit einem hohen Risiko verbunden sein, wenn ein Mitarbeiter daran über mehrere Jahre immer die gleiche Tätigkeit ausführt. Daher muss man sich dann Maßnahmen überlegen. Wir wenden bei allen vorhandenen Arbeitsplätzen, die wir überprüfen, das STOP-Prinzip an, auch wenn es nur um die Bestimmung der Zeiten mit der MTM-Methode geht. S = Substitution, T = Technische Gestaltung, O = Organisatorische Gestaltung, P = Personelle Gestaltung.

Bei der Substitution geht es darum, bei langwierigen oder aufwändigen Prozessen eine neue Vorgehensweise zu etablieren und damit die alte zu ersetzen. Dabei kann es Überschneidungen mit der technischen Gestaltung geben, etwa wenn ein Roboter bei Schraubprozessen zum Einsatz kommt, um die Mitarbeiter gezielt zu entlasten. Bei der organisatorischen Lösung handelt es sich um klassische Jobrotation. Nehmen wir an, man weiß, dass am ersten Arbeitsplatz der rechte Arm des Mitarbeiters belastet wird, am zweiten hingegen der linke Arm und am dritten sind es beide Hände. Dann plant man es so, dass der Mitarbeiter in einer Schicht zwischen den verschiedenen Arbeitsplätzen wechselt.

Auch Verhaltensergonomie ist ein wichtiger Faktor. Damit ist das ergonomiegerechte Verhalten der Mitarbeiter am Arbeitsplatz gemeint.

Am Ende ergibt sich ein aggregiertes Risiko, das ich mit dem EAWS hervorragend berechnen und bewerten kann. Bei den personellen Lösungen ist die Verhaltensergonomie ein klassisches Mittel. Damit ist das ergonomiegerechte Verhalten der Mitarbeiter am Arbeitsplatz gemeint. Es geht hier darum, einen Arbeitsplatz ergonomisch korrekt zu benutzen, etwa Abläufe optimal auszuführen und das richtige Werkzeug zu verwenden.“

Hat der Zeitfaktor auch bei der Analyse von körperlichen Belastungen eine Bedeutung?

„Ja, genau. Während wir mit dem EAWS die Belastungsintensität bestimmen, nutzen wir für die Berechnung der Belastungsdauer das MTM-Verfahren. Das führt dann zu einer einfachen Formel für die ergonomische Bewertung: Risiko = Intensitäts-Punkte mal Dauer-Punkte. Die Dauer-Punkte ermittelt man anhand der dynamischen oder statischen Aktionen – wir können das über die Frequenzen berechnen. Und hier greift man auf die MTM-Methode zurück.“

Zu sehen ist die Produktionsumgebung im zusätzlichen Standort der SIKO GmbH – ergonomische Arbeitsplatzgestaltung in einer beeindruckenden Dimension.

MTM-Methode und EAWS im Einsatz bei der SIKO GmbH

Könnten Sie ein Praxisbeispiel für die Anwendung von MTM-Methode und EAWS nennen?

„Hier bietet sich das Beispiel der SIKO GmbH an, die Sensoren und Positioniersysteme produziert. Die Produktion wurde in ein neues Gebäude verlegt. In diesem Zuge sollten die neuen Prozesse schon im Vorfeld untersucht und bewertet werden, im Vergleich zur bisherigen Situation. Dabei spielten zahlreiche Aspekte eine Rolle, darunter die Gestaltung der Montagearbeitsplätze und der eigentlichen Tätigkeiten. Außerdem haben wir Umgebungseinflüsse, die Verwendung von Werkzeugen, die Materialbereitstellung und die Logistik betrachtet. In der gesamten Produktion werden jetzt ergonomische Montagearbeitsplätze von item eingesetzt.

Wir haben das mit der MTM-Methode und dem EAWS, also den Methoden für die Zeit und die Ergonomie, analysiert und bewertet. Auf dieser Grundlage entstanden unsere Vorschläge, die in die Planung der neuen Montagearbeitsplätze der neuen Halle eingeflossen sind. Das war ausdrücklich eine prospektive Ergonomie-Planung. Wie gesagt, man kann Arbeitsplätze schon im Voraus beschreiben und bewerten, so auch hier: Wie vermeide ich Belastungen? Wie sollte ich die Arbeitsplätze in der Fabrikplanung bestmöglich aufstellen? Wie sollte die Verbindung bestimmter Arbeitsplätze aussehen, etwa von der Logistik zur eigentlichen Produktion oder zum Prüfprozess?

Entscheidend war bei SIKO gerade eine flexible Höhenverstellbarkeit, sodass die Mitarbeiter zwischen Sitzen und Stehen wechseln können. Aber auch ergonomische, individuell regulierbare Beleuchtung und die Anordnung der Arbeitsplätze spielten eine Rolle. Da bieten das MTM-Verfahren mit seinen standardisierten Prozessbausteinen sowie die Ergonomie-Bewertung mit dem EAWS wertvolle Unterstützung.“

Welche Erfahrungen haben Sie mit item gemacht?

„Wir arbeiten mit item schon seit längerem erfolgreich zusammen. Ob für Arbeitsplatzgestaltung oder intralogistische Prozesse – item bietet hervorragende Komplettsysteme an. Durch die item Profile ist es möglich, unterschiedlichste Dinge etwa in der Arbeitsplatzgestaltung oder Materialbereitstellung umzusetzen. Wir ergänzen uns gegenseitig hervorragend.

Wir haben sehr viele Verknüpfungspunkte mit item und schlagen item Lösungen bei verschiedenen Unternehmen vor. In unserer Toolbox ist item ein fester Bestandteil.

In diesem Fall hat uns item eingeladen, bei SIKO tätig zu sein und zu unterstützen. Wir haben sehr viele Verknüpfungspunkte. In vielen Fabriken in zahlreichen Branchen findet man item – aufgrund der flexiblen item Profile und der interessanten Lösungen, die angeboten werden. Wir schlagen bei verschiedenen Unternehmen die Lösungen von item vor. In unserer Toolbox ist item ein fester Bestandteil, sowohl bei fertigen als auch individuellen Lösungen, die man speziell für den jeweiligen Kunden kreiert.“

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