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Ergonomie: Bedeutung, Ziele und Geschichte

Ganz gleich, ob privat, am Arbeitsplatz, im Büro oder in Gebäuden wie einer Werkhalle: Wohl jeder Mensch ist bereits mehr oder weniger mit dem Thema „Ergonomie“ in Berührung gekommen. 

Deren zunehmende Bedeutung lässt sich anhand folgenden Beispiels demonstrieren: Wenn es um Ergonomie geht, fällt der Blick häufig nicht zufällig auf das Sitzen. In den letzten Jahren hat die Diskussion durch zahlreiche Studien und den Spruch „Sitzen ist das neue Rauchen“ an Fahrt aufgenommen. Zum einen ist längeres Sitzen am Stück per se ungesund, auf der Arbeit und im privaten Bereich. Da hierbei der Stoffwechsel heruntergefahren wird, steigt unter anderem das Risiko für Diabetes und Übergewicht. Zudem leidet die Leistungsfähigkeit der Muskulatur, was schnell zu Fehlhaltungen führt. Muskel- und Skeletterkrankungen (MSE) sind daher häufig die Folge dieser Belastungen. 2021 ließen sich die meisten Krankheitstage in Deutschland (25,5 %) auf MSE zurückführen, wie der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) berichtet. Doch was lässt sich dagegen tun? Was zeichnet eigentlich einen „ergonomischen“ Industrie- oder Bürostuhl aus? Wie ist Ergonomie entstanden und welche Ziele hat sie? In diesem Beitrag werden all diese Fragen beantwortet.

Darum lohnt sich Ergonomie in der Industrie

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Was versteht man unter dem Begriff „Ergonomie“?/Die Definition

Ergonomie setzt sich aus den griechischen Begriffen „ergon“ (Arbeit) und „nomos“ (Regel oder Gesetz) zusammen. Damit wird bereits die Richtung vorgegeben, die eine konkrete Ergonomie-Definition präzisiert: Es handelt sich um die Wissenschaft, die sich den Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Arbeit widmet und damit beschäftigt, diese zu optimieren. Generell ist Ergonomie interdisziplinär ausgerichtet, also bringen Experten aus zahlreichen Bereichen ihr Wissen über Mensch und Technologie ein. Dazu zählen beispielsweise Ingenieurwissenschaft, Arbeitsmedizin und Psychologie, aber auch die Informatik, da es Software-Ergonomie gibt. Die Digitalisierung spielt jedoch nicht nur bei der benutzerfreundlichen Gestaltung von Software eine Rolle, sondern auch bei der Bewertung von manuellen Montagearbeitsplätzen. So wird hierfür schon seit längerer Zeit Software genutzt, zum Beispiel im Rahmen der MTM-Methode, mit der sich manuelle Tätigkeiten beschreiben, analysieren, bewerten und planen lassen. Dies betrifft unter anderem den Greifraum, der anschaulich zeigt, warum die Berücksichtigung der individuellen Anforderungen jedes Menschen so wichtig ist:

Verhältnisergonomie und Verhaltensergonomie im Überblick

Zum Verständnis des Ergonomie-Begriffs ist eine häufig vorgenommene Unterscheidung hilfreich. Es handelt sich um folgende Differenzierung:

  • Verhältnisergonomie
  • Verhaltensergonomie

Die Verhältnisergonomie widmet sich der Optimierung der Arbeitsmittel und der Arbeitsumgebung. Folglich umfasst sie ein großes Spektrum an Möglichkeiten, um die Arbeitsbedingungen zu optimieren. Dazu gehören ergonomische Arbeitstische und –stühle, Material– und Werkzeugbereitstellung, Verkettung von Arbeitsplätzen und Beleuchtung. Wenn ein Arbeitsplatz oder Produkt als „ergonomisch“ bezeichnet wird, ist damit gemeint, dass die Gestaltung auf den Erkenntnissen der Ergonomie beruht und die Gesundheit der Benutzerin oder des Benutzers schont. Beispielsweise zeichnet sich ein Arbeitsstuhl aus dem ergonomischen item Arbeitsplatzsystem durch Höhenverstellbarkeit und weitere Optionen zur individuellen Anpassbarkeit aus, die über die Ausstattung eines Stuhls im Büro hinausgehen, aber den gleichen Prinzipien folgen. Dies gilt auch für dazugehörige, höhenverstellbare Arbeitstische. Dahinter steht die Erkenntnis, dass es der Arbeitsplatz sein sollte, der sich an den Menschen anpasst – und nicht umgekehrt. Aufgrund der Tatsache, dass jeder Mensch individuell ist, sollten Produkte dies berücksichtigen und eine flexible Anpassung ermöglichen. Dieser Gedanke steht im Zentrum ergonomischer Maßnahmen, ob im Büro, in der Montage oder anderswo.

Für die Arbeit im Büro oder in der Industrie hat sich die 40-15-5-Regel bewährt: 40 Minuten sitzen, 15 Minuten stehen und 5 Minuten bewegen.

Durch einen höhenverstellbaren Tisch ist zugleich die Voraussetzung für den regelmäßigen Wechsel zwischen Stehen und Sitzen geschaffen. Für die Arbeit im Büro oder in der Industrie hat sich die 40-15-5-Regel bewährt: 40 Minuten sitzen, 15 Minuten stehen und 5 Minuten bewegen. Ein flexibel anpassbarer Stuhl wiederum unterstützt dynamisches Sitzen, bei dem man die Position möglichst häufig ändert. Diese beiden Beispiele stehen für den Bereich der Verhaltensergonomie, die sich mit ergonomisch korrektem Verhalten am Arbeitsplatz beschäftigt. Es kommt nämlich nicht allein auf die bloße Bereitstellung ergonomischer Arbeitsplätze an. Daher ist die frühzeitige Einbeziehung der Belegschaft und ihre Akzeptanz essenziell. Ergonomie-Beraterin Susanne Weber hebt diesen Aspekt für Montagearbeitsplätze besonders hervor: „Ergonomie in der Industrie funktioniert am besten über Multiplikatoren. Einzelne ausgewählte Mitarbeiter werden sensibilisiert und geschult und tragen das Thema in ihre Teams weiter. Wichtig ist dabei die Nachhaltigkeit – also eine jährliche Schulung und Auffrischung mit den Multiplikatoren.“ Ideal zum Ausdrucken: Auf einem direkt verfügbaren Poster finden Sie zahlreiche Tipps für einen ergonomischen Arbeitsalltag – zum Einstellen des Arbeitsplatzes und zur sofortigen Entlastung dank leicht durchführbarer Übungen.

Was sind die Ziele der Ergonomie?

Über ergonomische Maßnahmen ist bisweilen noch das Missverständnis im Umlauf, dass es sich um überflüssige Kosten für die Schonung der Belegschaft handele. Ganz im Gegenteil: Da das entscheidende Ziel der Ergonomie darin besteht, bestmögliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, profitieren Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer und Unternehmen gleichermaßen. „Neben der Reduzierung krankheitsbedingter Ausfalltage gehen ergonomische Verbesserungen nahezu immer mit einer Prozessoptimierung einher“, erklärt Marius Geibel, Ergonomie-Experte bei item. In diesem Sinne besteht ein Ziel der Ergonomie auch darin, die Produktivität zu steigern und Kosten zu reduzieren, die durch Fehler sowie Arbeitsunfälle und berufsbedingte Erkrankungen anfallen. Wie die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) berichtet, beliefen sich 2017 die entsprechenden Kosten in der EU auf 476 Milliarden. Dabei handelt es sich um 3,3 % des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Ergonomie ist nicht zuletzt eine Präventionsmaßnahme – um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen sowie vermeidbare Kosten einzusparen.

Ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden durch ergonomische Arbeitsplätze besonders geschützt, die jüngeren Kolleginnen und Kollegen hingegen erfahren schon früh eine Prophylaxe, um chronischen Erkrankungen des MSE vorzubeugen.

Auf diese Weise verbinden sich bei ergonomischer Gestaltung Verantwortungsbewusstsein für die Menschen im Unternehmen und Wirtschaftlichkeit auf denkbar beste Weise. Dies sollte auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels betrachtet werden. Während der Anteil der Arbeitnehmer zwischen 15 und 44 Jahren sinkt (1990: 57 %; 2020: 47 %; Prognose für 2050: 46 %), steigt der Anteil der 60- bis 74-Jährigen sichtbar an (1990: 17 %; 2020: 24 %; Prognose für 2050: 27 %). Durch den Einsatz von ergonomischen Arbeitsplätzen lässt sich zweierlei erreichen: Die älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden besonders geschützt, die jüngeren Kolleginnen und Kollegen hingegen erfahren schon früh eine Prophylaxe, um chronischen Erkrankungen des MSE vorzubeugen. Positive Außendarstellung ist zwar kein primäres Ziel der Ergonomie, aber ein positiver Nebeneffekt, der gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und War for Talents  nicht zu unterschätzen ist: „Unternehmen konkurrieren inzwischen um Mitarbeiter. Somit spielt auch die Ergonomie eine große Rolle, weil ein ergonomisch gestalteter Arbeitsplatz für Mitarbeiter attraktiver ist“, erklärt Prof. Dr. Klaus Bengler, Lehrstuhlinhaber für Ergonomie an der Technischen Universität München. Die item Ergonomie-Studie ermittelte folgende Beweggründe für den Einsatz ergonomischer Arbeitsplatzgestaltung in der Industrie:

 

Geschichte der Ergonomie: Wichtige Meilensteine

Zusätzlicher Kontext durch die Geschichte der Ergonomie ist für das Verständnis ihrer Bedeutung und Ziele ebenfalls nützlich. Hier empfiehlt es sich, mit Bernardino Ramazzini (1633-1714) zu beginnen. In seinem 1700 erschienenen Werk „De morbis artificum diatriba“ (ins Deutsche übersetzt als „Die Krankheiten der Künstler und Handwerker und die Mittel sich vor denselben zu schützen“) untersuchte der Urvater der Arbeitsmedizin die Zusammenhänge zwischen bestimmten Berufen und Krankheiten. Dabei erkannte er bereits die Auswirkungen ungünstiger Körperhaltungen auf die Gesundheit. Der polnische Gelehrte Wojciech Jastrzębowski (1799-1882) führte schließlich den Ergonomie-Begriff („ergonomji“) ein. Er veröffentlichte 1858 in der Zeitschrift „Heimat und Natur“ die Schrift „Grundriß der Ergonomie oder die Wissenschaft von der Arbeit basierend auf den Wahrheiten aus der Wissenschaft von der Natur“ (beides in polnischer Sprache). Jastrzębowski definierte Ergonomie folgendermaßen: „Ergonomie ist ein wissenschaftlicher Ansatz, damit wir aus diesem Leben die besten Früchte bei der geringsten Anstrengung mit der höchsten Befriedigung für das eigene und für das allgemeine Wohl ziehen.“

Zum Netzwerk der „International Ergonomics Association“ (IEA)“ gehören zahlreiche nationale Gesellschaften, darunter auch die deutsche „Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (GfA)“, bei der item Mitglied ist.

Damit benannte Wojciech Jastrzębowski zwei entscheidende Aspekte der Ergonomie: Effizienz („geringste Anstrengung“ ist hier im Sinne von höchster Effizienz zu verstehen) und die Vorteile sowohl für das persönliche Wohl der Menschen als auch für die Wirtschaft beziehungsweise die Gesellschaft. Allerdings wurde Jastrzębowskis Arbeit erst knapp 100 Jahre später die gebührende Aufmerksamkeit zuteil. Daher galt zwischenzeitlich der britische Psychologe K.F.H. Murrell (1908-1984) als Initiator der Ergonomie. Murrell kombinierte unabhängig von Jastrzębowski „ergon“ und „nomos“. Dies geschah 1949 während der Gründung einer Forschungsgruppe, die zunächst „Human Research Society“ hieß, dann jedoch in „Ergonomics Research Society“ umbenannt wurde. Weltweite Bekanntheit erlangte die Ergonomie dann durch die seit 1957 erscheinende Fachzeitschrift „Ergonomics“. Zwei Jahre darauf wurde die „International Ergonomics Association“ (IEA) gegründet. Zu ihrem Netzwerk gehören zahlreiche nationale Gesellschaften, darunter auch die deutsche „Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (GfA)“, dessen Vorgängerorganisation bereits 1953 ins Leben gerufen wurde. Inzwischen sind die Theorie der Ergonomie und die Praxis ergonomischer Maßnahmen etabliert.

Know-how zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung

Im Laufe der Jahre ist auf dem item Blog ein umfangreiches Wissensarchiv über Ergonomie entstanden. Dabei steht die ergonomische Gestaltung von Montagearbeitsplätzen im Vordergrund, doch dabei werden auch zahlreiche grundlegende Prinzipien vermittelt. Hier finden Sie eine Auswahl:

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